MyDGKN
Twitter
Twitter

Frühkindliche Epilepsie: Abwesenheitszustände viel häufiger als Krämpfe - DGKN warnt vor übersteigerten Erwartungen beim Cannabis-Wirkstoff

Seit Kurzem besteht für Kleinkinder mit zwei verschiedenen, schweren Formen der Epilepsie eine neue Behandlungsmöglichkeit: Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA hat vor einigen Wochen den Wirkstoff Cannabidiol der Cannabis-Pflanze für die Therapie des Dravet-Syndroms und des Lennox-Gastaux Syndroms zugelassen. Die Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung e. V. (DGKN) begrüßt prinzipiell die Erweiterung der Therapieoptionen für die schwer erkrankten Kinder – warnt jedoch zugleich vor übersteigerten Erwartungen und weist auf die relevanten Nebenwirkungen hin. Unter fünf Prozent der von Epilepsie betroffenen Kinder können gegebenenfalls von dem Cannabis-Wirkstoff profitieren. Nicht immer äußern sich frühkindliche Epilepsien eindeutig mit Krampfanfällen. Manche Kinder wirken eher abwesend oder sind nicht ansprechbar. Deshalb wird die Störung zum Teil erst spät erkannt.

Das Dravet-Syndrom macht sich meist im Alter von etwa sechs bis zwölf Monaten zum ersten Mal bemerkbar: Dann führt ein genetischer Defekt, der das Gehirn übererregbar macht, meist bei Fieber erstmals zu einem epileptischen Anfall. „Die Anfälle treten im weiteren Verlauf meist mehrmals monatlich auf, fast alle betroffenen Kinder bleiben außerdem in ihrer geistigen und motorischen Entwicklung zurück“, beschreibt Professor Dr. med. Felix Rosenow, Leiter des Epilepsiezentrums Frankfurt Rhein-Main der Goethe Universität Frankfurt/Main, die schwere Erkrankung. Die Entwicklungsstörung, die mit dem Dravet-Syndrom einhergeht, lässt sich therapeutisch bislang nicht beeinflussen; Dravet-Patienten ab zwei Jahren, die bereits das Antikonvulsivum Clozapam erhalten, dürfen nun ergänzend auch mit Cannabidiol therapiert werden.

Da der Wirkstoff aus der Cannabis-Pflanze gewonnen wird, gilt er manchen Eltern als sanftes Naturprodukt. „Das ist ein Irrtum“, sagt Rosenow. „Ob eine Substanz pflanzlich oder synthetisch hergestellt ist, hat keinen Einfluss darauf, wie wirksam oder wie verträglich sie ist.“ In den Studien, die der Zulassungsentscheidung zugrunde liegen, habe Cannabidiol sich zwar als wirksam erwiesen und die Zahl der motorischen epileptischen Anfälle um rund die Hälfte gesenkt. Etliche Kinder hätten jedoch mit Nebenwirkungen wie starker Müdigkeit, Fieber, Appetitlosigkeit und Durchfall zu kämpfen gehabt – bei einem Teil der Kinder habe Cannabidiol deshalb oder aufgrund erhöhter Leberwerte wieder abgesetzt werden müssen. Auf die geistige Entwicklung der kleinen Patienten hat vermutlich auch der neue Wirkstoff keinen Einfluss.

Außer für die Dravet-Epilepsie ist Cannabidiol auch zur Behandlung des Lennox-Gastaut-Syndroms zugelassen, einer weiteren seltenen Epilepsieform, die auf frühkindliche Gehirnschädigung unterschiedlichster Ursachen zurückgeht. „Zusammengenommen machen die beiden Syndrome nur weniger als fünf Prozent der frühkindlichen Epilepsien aus“, erklärt Rosenow. Für die überwiegende Mehrzahl der jungen Epilepsiepatienten spiele die Cannabidiol-Einführung somit zunächst keine Rolle.

Im Durchschnitt sind 5 von 1000 Kindern von irgendeiner Form der Epilepsie betroffen. Oftmals wird die Störung jedoch erst spät erkannt, denn nicht immer äußert sie sich wie bei Dravet Syndrom und Lennox-Gastaut Syndrom mit motorischen Anfällen und auffälligem Zucken des ganzen Körpers. Manche Epilepsieformen gehen vielmehr mit kurzen Zuckungen einzelner Muskelpartien – etwa der Schultern oder des Mundes – oder Muskelanspannungen einher. Bei Kindern am häufigsten sind jedoch kurze Abwesenheitszustände, so genannten Absencen, während derer die Kinder nicht ansprechbar sind und an die sie sich hinterher nicht mehr erinnern können. „Diese Zustände werden oft als Verträumtheit oder – gerade in der Schule – als Verstocktheit interpretiert“, sagt Rosenow. Auch wenn die geistige Entwicklung der Kinder durch die Erkrankung meist nicht beeinträchtigt sei, führe eine nicht erkannte Epilepsie daher oft zu Leistungsabfall und Schulversagen.

Eine Möglichkeit, um die Epilepsie-Diagnose zu beschleunigen und die therapeutische Betreuung gerade in ländlichen Gebieten zu verbessern, sieht die DGKN in der Telemedizin: EEG-Ableitungen und andere diagnostisch bedeutsame Untersuchungsergebnisse werden vom behandelnden Arzt an das nächstgelegene Epilepsiezentrum weitergeleitet, wo sie von Spezialisten bewertet werden. „Per Tele-EEG haben auch Patienten fernab der Zentren Zugang zu einer qualifizierten epileptologischen Betreuung, ohne lange Wege auf sich nehmen zu müssen“, sagt Rosenow. Die DGKN hat Richtlinien für die Umsetzung solcher Telekonsile aufgestellt und begleitet die bereits angelaufenen Tele-EEG-Projekte mit Studien. So soll die Behandlungsqualität ebenso gesichert sein wie beim direkten Arztkontakt – denn eine frühe Diagnose und eine konsequente Therapie können den Lebensweg eines Epilepsie-Patienten entscheidend beeinflussen.