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100 Jahre EEG

Von Hans Bergers Alpha-Welle zum Brain-Computer-Interface

Dr. Barbara Schmidt, Institut für Psychosoziale Medizin, Psychotherapie und Psychoonkologie, Universitätsklinikum Jena

Im Jahr 1924 war das Gehirn des Menschen ein Mysterium – und das ist es auch heute noch. Eine Ansammlung von 100 Milliarden miteinander kommunizierender Nervenzellen ist und bleibt unvorstellbar komplex. Damals gab es bahnbrechende Fortschritte und man begann, die Funktionsweise einzelner Nervenzellen zu verstehen. Es gab im Jahr 1932 etwa den Nobelpreis für Edgar Douglas Adrian und Sir Charles Sherrington, die grundlegende Entdeckungen auf dem Gebiet der Funktion der Nervenzellen machten. All unsere Gedanken, Gefühle, Vorstellungen und Erinnerungen, all unsere Handlungen, erfordern die Arbeit des Gehirns und sind das Ergebnis der Kooperation unvorstellbar vieler Nervenzellen. Ist es wohl möglich, dem Gehirn als Organ, in dem so viele Zellen tätig sind, bei der Arbeit zuzuschauen? Diese Frage stellte sich Hans Berger vor einem Jahrhundert in Jena, wo er die Psychiatrie des Universitätsklinikums leitete.

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Hans Berger © Universitätsarchiv Jena

Meist forschte der Wissenschaftler sonntags an einer neuen Methode, wenn alle störenden elektrischen Geräte im Haus abgeschaltet waren, um mit seinen empfindlichen Messinstrumenten kleinste elektrische Signale des Gehirns einzufangen. Nach vielen Jahren und vielen Misserfolgen machte er im Keller der Psychiatrie von Jena schlussendlich eine bahnbrechende Entdeckung: Er legte selbst gebaute Elektroden auf die Kopfhaut seiner Testperson und konnte kleinste Spannungsschwankungen in Form von Hirnströmen erkennen. Waren das die weltweit ersten nachweisbaren neurophysiologischen Signale von Denkprozessen beim Menschen?

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EEG-Prototyp von Hans Berger © Universitätsarchiv Jena

Aufzeichnungen zur Elektroenzephalographie von Hans Berger © Deutsches Museum, München, Archiv

Die Geburtsstunde des EEG: Von anfänglicher Skepsis zum Weltruhm

An einem Sonntag, dem 6. Juli 1924, beobachtete Hans Berger in seinen Aufzeichnungen Schwingungen in einem Rhythmus von etwa 10 Hz, die sich in ihrer Stärke änderten, wenn sein Proband die Augen öffnete oder schloss. Mehr noch, er beobachtete das gleiche Phänomen, wenn er seinen Probanden bat, eine Rechenaufgabe durchzuführen. Hans Berger wurde klar, dass er dem Denken auf der Spur war. Er hatte gefunden, was er so viele Jahre in aller Stille und Heimlichkeit gesucht hatte. Das EEG, die Methode, die es erlaubt dem menschlichen Gehirn bei der Arbeit zuzuhören, war geboren!

Auch heute noch sprechen Forscherinnen und Forscher weltweit vom Berger-Rhythmus und vom Berger-Effekt, wenn sie diese Wellen des Gehirns studieren. Neben den Berger-Oszillationen um 10 Hz, dem Alpha-Frequenzband, sind viele weitere Aktivitätsmuster und Frequenzen der elektrischen Aktivität des Gehirns bekannt und beschrieben. In welcher Beziehung aber Denkprozesse zu diesen elektrischen Signalen stehen, ist nicht vollständig entschlüsselt.

Zehn Jahre später wurde das EEG weltweit bekannt, nachdem Hans Berger seine Befunde veröffentlicht und der Nobelpreisträger Edgar Douglas Adrian 1934 in Cambridge Bergers Beobachtungen vor einem großen Publikum begeisterter Physiologen vorgestellt hatte. Plötzlich gab es überall auf der Welt EEG-Labore, beispielsweise auf dem privaten Anwesen des Wall-Street-Millionärs und Wissenschaftsförderers Alfred Lee Loomis in New York. Die Instrumente zur Messung des EEG wurden seitdem ständig verbessert. Ursprünglich war die Messapparatur groß und sperrig, es war ein eigens elektrisch abgeschirmter Raum notwendig. Heutzutage sind die EEG-Verstärker viel besser und kleiner, sie haben die Größe von Smartphones, und in wenigen Jahren werden EEG-Systeme wohl in Wearables integriert und überall verfügbar sein.

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Hans Berger und 100 Jahre Elektroenzephalogramm.
Lemke, J.R., Kluger, G. & Krämer, G.
Clin Epileptol (2024).
https://doi.org/10.1007/s10309-024-00664-x

clinical_epileptology

Die Zukunft des EEG: Faszinierende Möglichkeiten und Erwartungen

100 Jahre nach Hans Bergers Entdeckungen ist das EEG ein wichtiges Instrument in der Neurologie, Neurophysiologie, Psychiatrie und in der Schlafmedizin. Es spielt eine entscheidende Rolle bei der Diagnose und Behandlung von Epilepsien. Allein in Deutschland leiden etwa 500.000 Menschen an dieser Krankheit. In der Wissenschaft wird das EEG verwendet, um etwa die Verarbeitung von Sinnesreizen zu untersuchen. Viele psychische Prozesse wie Aufmerksamkeit, Sprachverstehen oder Gedächtnisprozesse hinterlassen ihre Spuren in den EEG-Wellen – wie es Hans Berger bereits geahnt hat. Forschende können schon recht genau von den EEG-Mustern auf bestimmte Vorgänge im Gehirn schließen, aber das EEG ist keine Gedankenlesemaschine.

Aktuell wird im In- und Ausland die EEG-Technik für alltägliche Anwendungen weiterentwickelt. Dabei spielt auch die Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN) e.V., die aus der 1950 gegründeten „Deutschen EEG-Gesellschaft“ hervorgegangen ist und sich bis heute um die Weiterentwicklung und Qualitätssicherung unter anderem des EEG kümmert, eine maßgebliche Rolle. Die Kombination mit künstlicher Intelligenz ist hierbei vielversprechend. Brain-Computer Interfaces (BCI) ermöglichen es, mit der menschlichen Gehirnaktivität andere Geräte zu steuern. Viele schwerbetroffene neurologische Patientinnen und Patienten hoffen, durch diese Technologie wieder kommunizieren zu können. Auch Elon Musk entwickelt mit seiner Firma Neuralink BCI-Anwendungen, allerdings setzt er allein auf die invasive Ableitung der elektrischen Aktivität durch die Implantation von Elektroden in das Gehirn.

Wir sind gespannt, wohin es in Zukunft gehen wird mit der EEG-Technologie, dieser faszinierenden Möglichkeit, das Gehirn bei seiner Tätigkeit zu belauschen.

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